Anderen bei Trauer helfen – trotz eigenem Gepäck
Die Mutter der besten Freundin stirbt an Krebs; ein Freund schreibt per WhatsApp, dass das lange ersehnte Wunschkind in der Schwangerschaft gestorben ist; der Kollege im Nachbarbüro trauert um den Partner: Wenn jemand im eigenen Umfeld einen schweren Verlust erlebt, fühlen sich viele Menschen hilflos.
Um anderen bei Trauer zu helfen und sich in Gesprächen sicherer zu fühlen, lohnt es, das eigene Gepäck in den Blick zu nehmen.
Hinweis: Du trauerst und suchst Ideen, was bei Deiner Trauer hilft? Dann wird einen Blick in diesen Artikel über den Trauer-Rucksack.
Bei Trauer helfen?
Die Trauer eines Familienmitglieds, einer Freundin / eines Freundes oder einer Kollegin / eines Kollegen mitzuerleben, macht viele Menschen hilflos. Und das aus sehr verschiedenen Gründen. So kann es zum Beispiel belastend sein, dass man den Grund für die Trauer nicht einfach beheben oder weg-organisieren kann – denn dieses “Sich-kümmern-und-dann-ist-das-Problem-behoben” beherrschen viele von uns sehr gut.
Außerdem kann der Todesfall oder Verlust (etwa bei schwerer Krankheit) eigene Ängste berühren, was uns vielleicht befangen macht. Nicht selten entstehen in Gesprächen dann peinliches Schweigen oder “awkward moments”. Das gilt erst recht, wenn wir unvorbereitet auf die Trauer treffen.
Die meisten Trauernden befinden sich zudem in einer Ausnahme-Situation, in der sich Wünsche an das Umfeld stetig verändern, und in der Trauernde vielleicht manchmal auch nicht formulieren können, was ihnen gerade guttut, oder welche Interaktion mit dem Umfeld sie sich wünschen.
Dabei würden die meisten Menschen anderen gern bei Trauer helfen.
Wie kann das gelingen?
Gespräche mit Trauernden: Was bringe ich mit ins Gespräch?
Wer bei Trauer helfen möchte, kann sich auf Gespräche mit dem oder der Trauernden vorbereiten. Wichtig ist die Frage, welches eigene Gepäck mit von der Partie ist. Hier ist eine unvollständige Liste mit Beispielen:
Sich Ängste bewusst machen
In einem Gespräch mit Trauernden können eigene Verluste oder Ängste hochkommen und zur Belastung werden. Wer sich mögliche Themen aus der eigenen Biografie vorab bewusst macht, wird meistens weniger von ihnen überrascht, behält im Gespräch den Fokus und belastet die akut trauernde Person nicht (ungewollt) mit der eigenen Geschichte.
Hilfreich sind Fragen wie: Was kann ich gut aushalten und anhören, und wovor habe ich Angst? Welche Schilderungen sind mir zum Beispiel zu detailliert, oder welche Aspekte möchte ich lieber nicht vertiefen? Es lohnt sich, sich solche Ängste vorher zu vergegenwärtigen, damit eigene Fragen das Gespräch nicht in die ungewollte Richtung lenken.
Und falls die Angst doch aufkommt, arbeite ich mit vor-formulierten Rettungsanker wie: „Es ist nicht mir passiert.“ oder „Ich bin im Hier und Jetzt in Sicherheit.“ oder „Ich steige nicht auf meine Angst ein, denn mit Angst kann ich nichts für mein Gegenüber tun.“
Wenn es schwer für mich wird, kann ich trotzdem bei Trauer helfen, indem ich mich frage: Mit wem kann ich im Anschluss besprechen, was mir durch den Kopf geht?
Neugier im Spiel?
Einerseits interessieren wir uns für das, was dem Gegenüber passiert, andererseits soll nicht die Neugier auf das, was passiert ist, das Gespräch treiben. Denn das Erzählen von zu vielen Details kann belastend für beide Seiten im Gespräch sein.
Mein Tipp: Wenn ich mich auf den Menschen konzentriere (statt auf den Gesprächsinhalt allein), bemerke ich, wie es der Person geht, und frage eher die Fragen, die wirklich hilfreich sind. Erstaunlich oft sind die nonverbalen Reaktionen die wirksamsten, ein Lächeln oder Nicken, eine ausgestreckte Hand oder ein angebotenes Taschentuch.
Denken in konzentrischen Kreisen
Für Menschen im Umfeld von Trauernden bietet sich das Modell der konzentrischen Kreise an.
Das Wichtige:
- Sorgen, Ängste, Wut und anderes dürfen von innen nach außen abgegeben werden
- Unterstützung fließt von außen nach innen!
Ganz innen stehen die direkt Hinterbliebenen: Ehepartner, Kinder oder Eltern und Geschwister des oder der Verstorbenen.
Ein Kreis weiter außen sind Verwandte der direkt Hinterbliebenen und enge Freunde: sie leisten neben emotionaler Unterstützung oft praktische Hilfe bei der Alltagsbewältigung, von Kochen bis Hilfe bei der Organisation der Beisetzung.
Dann kommen gute Bekannte, auch nette Nachbarn, und Arbeitskolleg_innen. Sie unterstützen oft punktuell: Arbeitskolleg_innen können dringende Projekte und Aufgaben übernehmen, Nachbar_innen können mit dem Hund Gassi gehen, und Eltern aus der Kita können ein Kind einen Nachmittag lang betreuen.
Ganz außen sind entferntere Bekanntschaften, von flüchtigen Bekannten bis zur Zahnärztin. Sie können vor allem Mitgefühl zeigen und Fettnäpfchen auslassen.
Im Hintergrund gibt es den Rest der Welt, sei es als Unterstützungssysteme der äußeren Kreise, sei es als Menschen, die wir noch nicht kennen.
Unterstützung fließt von Außen nach Innen, Entlastung von innen nach außen
Sorgen, Ängste, Wut und anderes dürfen von innen nach außen abgegeben werden: Trauernde sollten Menschen aus äußeren Kreisen nicht in deren Trauer auffangen müssen. Was nicht bedeutet, dass man nicht gemeinsam trauern kann.
Angebote zur Unterstützung gehen von außen nach innen: Das können Alltagserledigungen wie Einkaufen sein, wie auch Angebote zum Zuhören.
Trauergruppen und professionelle Unterstützende
Im Lauf der Trauer kommt manchmal ein Kreis hinzu: In Selbsthilfe- oder Online-Gruppen geben sich Trauernde gegenseitig einen sicheren Raum, in dem die Trauernden offen sprechen können. Das entlastet. Und er liegt quer zu den anderen Kreisen, da er sich oft nicht mit Freunden oder Arbeitskollegen überschneidet.
Ebenfalls unterschiedlich: In diesen Runden geht es um ein Gleichgewicht zwischen den Trauernden, um sprechen UND zuhören.
In diesem Kreis gehören auch Trauerbegleiter (wie mich) oder Therapeuten können während des Trauerprozesses Unterstützung und Empathie bieten und helfen, an schwierigen Themen zu arbeiten.
Was es braucht, um bei Trauer zu helfen…
Hilfslosigkeit aushalten
Egal, was ich tue, egal, wie wirksam oder stärkend ein Gespräch ist: Der Grund für die Trauer ist der Verlust eines nahen Menschen – und deswegen darf Trauer bleiben. Mir das bewusst zu machen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen in Gesprächen mit Trauernden. Ich werde damit hilfreich sein, und ich kann niemandem etwas abnehmen oder etwas ungeschehen machen.
Und das muss ich auch nicht: Meine relative Hilflosigkeit angesichts von Tod oder Krankheit kann ich gut aushalten, weil ich weiß, dass Menschen trauern können. Das tun wir, seit wir uns an andere Menschen binden. Ich kann in der Trauer helfen durch Da-sein, Zuhören und Trauer-aushalten. Das reicht meistens.
Das Wissen um die „Trauer-Fähigkeit“ bewahrt mich davor, Jemanden mit Hilfsangeboten zu überfahren, oder Wissen / Erfahrungen als ungebetene Rat-Schläge zu verteilen. Zusätzlich kann ich die Selbstwirksamkeit meines Gegenübers unterstützen, indem ich zum Beispiel frage, wie sie bestimmte Aufgaben angehen möchten. Und ich werde erst Ideen anbieten, wenn jemand explizit nachfragt.
Mitfühlen statt Mitleiden
Empathie ist etwas anderes als Mitleid. Sehe ich Menschen mitfühlend an, dann leide ich nicht mit. Das Gehörte darf mich berühren, und es wird nicht zu meiner Belastung. Mitgefühl sorgt dafür, dass meine Aufmerksamkeit bei der Trauernden Person bleibt – statt wie im Mitleid zu mir und meinem Gefühl von „Leid“ zu wechseln.
Ein Schutzmechanismus, der für mich bestens funktioniert: Ich rufe mir den Menschen mit allen Ressourcen und Stärken vor Augen und setze so der Schwere der Trauer etwas entgegen. Ich sehe, was da ist, nicht das, was fehlt. Mit diesem Vertrauen in das Können der Menschen kann ich bei Trauer am besten helfen.
Das Mitfühlen öffnet zudem die Kanäle, über die ich wahrnehme, was mein Gegenüber brauchen könnte.
Es gibt ein einfaches Modell, mit dem ich die Bedürfnisse meines Gegenübers im Gespräch einordne: das SCARF-Modell. Wer mehr dazu lesen möchte, findet hier meinen Blog-Artikel über Tending to Emotional Basic Needs in Grief Counseling with SCARF.
Zuhören ohne zu werten oder abzuwiegeln
Vielen Trauernden hilft es, wenn sie einfach erzählen dürfen… von dem oder der Verstorbenen, den Todesumständen, ihren Gefühlen.
Hinter dem Begriff „einfach erzählen dürfen“ verstecken sich eine Reihe von Faktoren:
- Die Gesprächshoheit bleibt bei den Trauernden. Sie geben vor, worüber sie sprechen möchten, Nachfragen beziehen sich auf ihr Gesagtes (nicht auf die eigene Neugierde, siehe oben) und es gibt keine ungebetenen Vergleiche zum eigenen Erleben.
- Apropos ungebeten: einfach erzählen heißt auch, dass Trauernde keine Ratschläge bekommen. Wenn das gelingt, zeigt das gleich doppelt Respekt: für die Individualität von JEDEM Trauerweg; und dafür, dass Trauer absolut angemessen ist. Sie muss nicht weg-berat-schlagt werden.
- … und kein Abwiegeln bitte! Manchmal machen Trauernde sich Vorwürfe, für die es „rational betrachtet“ keine Grundlage gibt. Diese Schuldkonstruktionen erfüllen meistens eine Funktion – und tragen dazu bei, dass Trauernde den Verlust überhaupt ertragen können. Statt abzuwiegeln, hilft es Trauernden meistens, wenn ihr Gegenüber die Schwere der Gedanken und Gefühle anerkennt: „Es muss schwer für Dich sein, dass Dich dieser Gedanke plagt.“