Blume wächst aus einer Steinwand heraus
Bild: Nadja Donauer, Pixabay

Resilienz ist lernbar

Auf Menschen bezogen wird Resilienz oft als die Fähigkeit verstanden, mit Schwierigkeiten umzugehen. Dazu gehört neben innerer Kraft auch Flexibilität bzw. Anpassungsfähigkeit.

Bei Menschen kann Resilienz für Wachstum sorgen. Statt nach einem schweren Ereignis in die Knie zu gehen, arbeiten sie sich zu einem Zustand vor, der für sie funktioniert – und in manchen Aspekten sogar „besser“ ist als die Ausgangssituation.

Darum geht es in diesem Artikel:

  • Was ist Resilienz?
  • Kann man Resilienz lernen?
  • Buchtipp: Option B von Sheryl Sandberg

Buch-Tipp Option B.

Wie wir durch Resilienz Schicksalsschläge überwinden und Freude am Leben finden,
von Sheryl Sandberg und Adam Grant

Es gibt Promis, über deren Schicksalsschläge berichtet wird. Und dann gibt es Promis, die nach Schicksalsschlägen richtig gute Bücher schreiben. Sheryl Sandberg, Ex-COO von Facebook, ist so ein Fall.
Gemeinsam mit dem befreundeten Psychologen und Psychologie-Professor Adam Grant schreibt sie in „Option B“ über den Anpassungsprozess nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Dave Goldberg. Er starb 2015 plötzlich an einem Herzinfarkt.
 
Das Buch in einem Satz: Resilienz ist erlernbar.
Was bedeutet das?

Was ist Resilienz?

Resilienz wird häufig als innere Kraft oder Stärke verstanden, zum Beispiel einen Schicksalsschlag gut zu verkraften. Das beschreibt Resilienz allerdings nicht wirklich gut. Denn:

Resilienz braucht innere Kraft, kombiniert mit Flexibilität. Erst in der Verbindung dieser beiden Qualitäten können wir uns an widrige Situationen anpassen. Wer nur stark ist, zerbricht schnell unter dem Druck einer Schwierigkeit. Mit Flexibilität kann es dagegen gelingen, einen neuen Weg für die veränderte Situation zu finden. Die Flexibilität ist wichtig, damit aus Kraft Anpassungsfähigkeit wird!

In diesem Sinn wird das Konzept Resilienz auch für nicht-menschliche Systeme benutzt: von der Lieferkettenplanung bis zur Software-Entwicklung zeichnet sich ein resilientes System durch die Fähigkeit aus, sich nach einer Störung oder einem Fehler zu erholen. Das wird oft mit dem Bild eines Gummibands oder einer Metallfeder beschrieben, die beide nach einer Belastung in ihren Ausgangszustand zurückkehren.

In manchen Fällen gelingt die Anpassung an die neue Situation sogar so gut, dass das System in Zukunft besser funktioniert oder besser mit Störungen umgehen kann als vorher. Das System lernt also. Und das können wir auch an uns Menschen beobachten, zum Beispiel, wenn ein naher Mensch gestorben ist.

Denn auch Trauer ist ein Anpassungsprozess. Er verlangt Hinterbliebenen viel innere Kraft und Anpassung ab. Und Geduld. Wer nur stark ist, wird den Verlust durchstehen, aber vielleicht nicht gut mit dem Leben danach zurechtkommen. Die Flexibilität bringt das Vermögen ein, neue Gewohnheiten, Rollenverteilungen, Rituale für eine Welt zu finden, in der ein wichtiger Mensch nicht mehr lebt.

Wie entsteht Resilienz? Und kann sie lernen?

Die Fähigkeit zur Resilienz ist gut erforscht und wird als Ergebnis aus anderen Eigenschaften beschrieben. Ich arbeite gern mit einem Konzept, das ich aus dem Buch „Der R-Faktor“ kenne. Es nennt acht Dimensionen:

  • Optimismus: Glaube, dass es im Leben grundsätzlich gut geht und dass man den Herausforderungen des Lebens gewachsen ist. Ich benutze lieber den Begriff Zuversicht.
  • Akzeptanz bedeutet, Dinge so zu sehen, wie sie sind, und sie als gegeben anzunehmen. Kurz gesagt ist es Fähigkeit MIT Hindernissen oder TROTZ Hindernissen einen Weg in ein gutes Leben finden.
  • Lösungsorientierung ist die Richtung, in die wir schauen: Wir können uns entscheiden, ob wir uns in ein Problem verbeißen oder ob wir uns bewusst der Zukunft zuwenden. Diese Fähigkeit ist besonders relevant, wenn wir das Problem (wie beim Tod eines Menschen) nicht lösen können.
  • Netzwerkorientierung beschreibt die belastbaren Beziehungen, die stützen, aktivieren, Mitgefühl geben, und im Alltag abrufbar sind.
  • Selbstwirksamkeit kann verstanden werden als Überzeugung, dass das eigene Tun und Handeln etwas an der eigenen Situation verändern wird. Das bedeutet auch, an sich selbst zu glauben. Oder das Vertrauen aufzubringen, dass es wieder möglich wird, mein Leben in die eigene Hand zu bringen.
  • Verantwortungsübernahme bedeutet, sich verantwortlich zu fühlen für den UMGANG mit der belastenden Situation – nicht die Situation selbst! Das Gegenteil davon ist der regelmäßige Reflex, in eine Opferhaltung zu gehen, die die Verantwortung bei anderem, einem Schicksal oder Pech sucht – aber nicht die Verantwortung für das eigene Tun nimmt.
  • Erholung als regelmäßiger Ausgleich für Anspannung oder Stress: Gemeint ist die Fähigkeit, bewusst Räume/ Gelegenheiten dafür zu schaffen. Trauernde kennen das vielleicht aus dem Konzept „Trauerfrei“. Je nach Person kann es hilfreich sein, die Erlaubnis zur Erholung zu geben.

Und kann man Resilienz nun lernen?

Ich würde sagen: Man kann sie stärken, trainieren.

Manche Menschen zeigen schon früh Resilienz oder behalten sie durch ihr Leben hindurch. Ob es ein großer Optimismus ist, ein Gott- oder Selbstvertrauen, oder die Fähigkeit, Hilfe anzunehmen – etwas scheint diese Menschen zu tragen. Das lässt sich erst einmal nicht Nach-lernen.

Wer das nicht hat, kann prüfen, welche der Faktoren oben sich stärken lassen. Auch darüber kann Resilienz entstehen: sich bewusst zu erholen, das lässt sich einplanen; Optimismus oder Lösungsorientierung können aktiv gestärkt werden, entweder selbst oder zum Beispiel in einer Trauerbegleitung; und man kann trainieren, Selbstwirksamkeit zu erkennen. Erste Ansätze gibt es im Artikel über die Verwendung der SCARF-Faktoren in der Trauer.

Und das ähnelt dem, was viele Menschen nach einer schweren Krise, einem Todesfall im direkten Umfeld oder ähnlich einschneidenden Erlebnissen von sich berichten: Dass sie plötzlich eine innere Qualität in sich finden, die ihnen hilft „Das“, durchzustehen.

George Bonanno sammelt viele beeindruckende Beispiele dafür in seinem Klassiker der Resilienz-Forschung „Die andere Seite der Trauer“.

Option B von Sheryl Sandberg: Lesenswert!

Zurück zum Buch “Option B” von Sheryl Sandberg und Adam Grant. Was lernt man aus dem Buch nun über Resilienz und die „Fähigkeit, Schicksalsschläge (zu) überwinden und Freude am Leben (zu) finden“, wie der Untertitel verspricht? Auch sie sagen:
 
Resilienz ist erlernbar.
 
Mit diesem Credo wirkt Option B zunächst sehr amerikanisch.
Sheryl Sandberg beschreibt das zum Glück etwas differenzierter:
  • Niemand hat sich den Anlass für den eigenen Wachstumsprozess ausgesucht.
  • Und: So ziemlich alle Menschen würden ihr Wachstum ohne Zögern eintauschen, wenn dafür zum Beispiel die verstorbene Person wieder lebendig würde, oder der Unfall, der Leben so verändert hat, nicht passiert wäre.
 
Und das ist für Trauernde oder vom Leben verletzte Menschen eine so wichtige Botschaft. Denn sie zollt dem schmerzhaften Spagat Anerkennung, dass das eigene Leben weitergeht, dass es Momente von Freude gibt, obwohl das Schlimme passiert ist. Bei Trauernden ist das nicht selten mit einem schlechten Gewissen oder Schuldgefühlen verbunden.
 
Für Menschen im Umfeld von Trauernden bedeutet das: Auch wenn eine Person nach einem sogenannten Schicksalsschlag lacht, sind Trauer und Schmerz oft genug trotzdem da. Sie sind nicht „vorbei“, nur weil jemand sich „dem Leben zuwendet“.
In manchen Fällen verstecken Trauernde vielleicht eine Regung. Und in vielen Fällen lernen Trauernden, mit der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Weiterleben-wollen und Sehnsucht-nach-„Vorher“ zu leben.

Themen von Option B

In insgesamt 10 Kapiteln Buch behandeln Grant und Sandberg eine Reihe Themen, die viele Trauernde beschäftigen:
  • die akute Phase,
  • die Gehversuche der ersten Tage,
  • Trauer bei Kindern und in der Familie,
  • schmerzhafte (Nicht-)Reaktionen des Umfelds,
  • die Kraft der Gemeinschaft,
  • Konzentrationsschwäche und andere Folgen in Job und Alltag,
  • die leidige Erfahrung, dass Trauer länger dauert als das Umfeld annimmt,
  • bis hin zu einem Zurück-ins-Leben, das ein Vorher und ein Nachher kennt.
 
In die eigenen Erfahrungen flechten die Autor_innen die Ergebnisse aktueller Forschung ein, stellen Theorien und Studien vor und weiten den Blick vom Individuellen auf den Forschungsstand. Dabei führen sie beispielsweise Konzepte ein wie
  • Verlauf von Trauer,
  • Resilienzfaktoren,
  • „Sinn-Finden“,
  • das Growth Mindset von Carol Dweck,
  • die Rolle von Unterstützung zwischen Betroffenen

… und so vielen weiteren Themen, dass etwa ein Drittel des Buches für Anmerkungen und Verweise reserviert bleibt.

 
Und das ist einer der Punkte, die ich an diesem Buch besonders mag: In der Kombination aus persönlicher Geschichte und Erkenntnissen aus der psychologischen Forschung spricht „Option B“ Kopf wie Empathie an. Es gibt unglaublich viele Tipps zum Weiterlesen. Und dabei bleibt das Buch flockig lesbar und nimmt Angst vor dem vermeintlich schweren Thema. Das ist eine echte Leistung!

Was ich am Buch “Option B” schätze

Die Forschungsergebnisse und die vielen Beispiele machen Mut. Zum einen dadurch, dass auch eine angenommerweise „toughe“ Frau wie Sheryl Sandberg Trauer hart trifft, dass sie Verzweiflung kennt und die Verletzung und Verwerfungen zugeben kann, die ein Todesfall im engsten Kreis auslösen kann.
 
Sie beschreibt den Wachstumsprozess, den man im Rückspiegel ausmachen kann, und sie verschweigt den hohen Preis des ungewollten Wachstums nicht.
 
Außerdem zeigt die Fülle an Material, wie viele Menschen Schicksalsschläge erleben müssen … leider und zum Glück.
 
Das Buch macht Trauer zugänglich, und zwar auch für Trauernde, die bei Selbsthilfegruppen an Tüchertänze und bei Trauer-Literatur an Tränendrüse denken. Gerade der mindestens in Tech-Kreisen bekannte Name holen das Thema mitten rein in eine erfolgsverwöhnte, steuerungsaffine und versicherungsverrückte Leistungsgesellschaft.
 

Resilienz und was das Buch Option B uns darüber beibringen kann

Wachstum und Resilienz passieren, wenn sie passieren. Posttraumatisches Wachstum darf weder Trost-Option noch Erwartungshaltung werden.

Das Wachstum passiert „trotzdem“, trotz einer tiefen Verletzung oder Erschütterung. Und das bedeutet nicht, dass Schmerz oder Trauer „vorbei sind“. Oder dass Trauernde den_die Verstorbene_n hinter sich lassen.

Das Wachstum ist Ergebnis eines immensen Kraftakts, einer erzwungenen Anpassung an ein neues Leben, die sich aus dem individuellen Weiter-Leben-Wollen speist. Der Preis, den Menschen nach einem Schicksalsschlag dafür zahlen, ist verdammt hoch.

Für wen eignet sich das Buch Option B?

Es tröstet Betroffene vermutlich nicht akut, dafür appelliert es zu stark an den Frontallappen.

♦ Es ist lesenswert, wenn man etwas über Trauer und Resilienz lernen möchte und sich vor etwas US-amerikanisch gefärbten Optimismus nicht scheut.

♦ Es hilft hoffentlich Menschen im Umfeld, das Verhalten Trauernder besser zu verstehen und als normaler Teil menschlichen Erlebens zu akzeptieren.

Literatur:

  • Option B: Wie wir durch Resilienz Schicksalsschläge überwinden und Freude am Leben finden, von Sheryl Sandberg, Adam Grant, 2017
  • Originalausgabe 2017: Option B: Facing Adversity, Building Resilience, and Finding Joy
  • Der R-Faktor: Das Geheimnis unserer inneren Stärke, von Micheline Rampe, 2010
  • Die andere Seite der Trauer: Verlustschmerz und Trauma aus eigener Kraft überwinden, George Bonanno, 2012
  • Originalausgabe 2010: The Other Side of Sadness, What the New Science of Bereavement Tells Us About Life After Loss
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