grüne Hinweisschilder in Botanischem Garten, zeigen verschiedene Ziele in allen vier Himmelsrichtungen
Bild: Thilina Alagiyawanna, Pexels

Ziele im lösungsfokussierten Arbeiten

Ziele sind allgegenwärtig, im Job, beim Sport oder Abnehmen, im Urlaub. Und auch die Zahl der Zitate und Motivationssprüche scheint unendlich.

Mein Favorit derzeit stammt von Laotse:

„Wer kein Ziel hat, kann auch keines erreichen.“

Was hat es mit Zielen auf sich?

Hinzu – Erfolgsfaktor für Coaching-Gespräche

Als Trauerbegleiterin und Coach kann den Unterschied zwischen beiden Arten von Gesprächen an genau einem Punkt beschreiben: Gibt es ein explizites Ziel?

Im Coaching arbeiten Coachees auf ein Ziel hin, das sie in der Regel schon mitbringen, und/ oder das wir in einer ersten Sitzung schärfen.

Was hat es mit dem Ziel auf sich? Was macht es so wertvoll fürs Coaching?

Sogar so wertvoll, dass es in vielen Coachings die Hauptrolle spielt, wenn Coachees das Ziel sehr genau und mit möglichst vielen Details ausarbeiten und schmücken.

Das Ziel gibt der Veränderungsenergie eine Richtung

Das Ziel gibt dem Wunsch, etwas zu verändern, die Richtung.
  • Wie soll es denn anders sein?
  • Was möchte ich erreichen?
  • Wie ist es dort/dann, wo/wenn es anders ist?

In Arbeitskontexten gibt es das Ziel zum Beispiel als Nordstern-Metrik, als Jahresziel abgeleitet von einer Vision, als persönliches „das will ich erreichen“. Im Privaten ist das Ziel oft individueller – und schwerer zu greifen und zu detaillieren. Von „mehr Zeit“ bis „glücklicher“ kann alles dabei sein. Unabhängig vom Kontext wirkt das Ziel ähnlich: Es richtet die Energie in einer Bewegung auf etwas aus, das jenseits des Ist-Zustands ist, das über die Bewegung selbst hinaus geht, und das Bestand hat. Es bündelt die Bewegungsenergie, gibt Fokus und hilft beim Priorisieren, „die richtigen Dinge zu tun“, nämlich die, die auf das Ziel hinarbeiten. Zum Vergleich: In einer Trauerbegleitung gibt es meistens kein ausgesprochenes Ziel, eher ein implizites: Stabilisierung, damit sich Dinge entwickeln können, Trauer aushalten, manchmal Trauer-Edukation … Das wirkt passiver, und dieser Punkt fällt den meisten Menschen in der Trauer übrigens sehr schwer: zu akzeptieren, dass man den Tod nicht ändern kann. Und ist durchaus anstrengend. (dazu mehr wann anders). Im Trauer-Coaching geht es um Ziele, die Menschen nach einem Verlust erreichen möchten. Diese Ziele drehen sich oft gar nicht direkt um den Verlust selbst, sondern um sogenannte Sekundärverluste (wenn zum Beispiel die finanzielle Stabilität nach dem Tod des Partners fehlt).

Gedanken zur Macht von Zielen

Egal, ob im Coaching oder in Alltagssituationen: Die initiale Energie, etwas zu verändern oder zu bewegen, kommt manchmal (auch bei mir) daher, dass wir „weg-von“ etwas wollen.

„So kann es nicht weitergehen.“
„Das nervt.“
„Das möchte ich zu Zukunft anders machen/haben“.

Dieses „Weg-Von“ beschreibt ein Problem oder einen Zustand, den ich nicht will, und der gibt Bewegungsenergie. Und wohin soll die Bewegung gehen?

Das ist erst mal noch nicht klar. Dafür gibt es Ziele: Leuchttürme, einen Nordstern, den perfekten Moment, eine 10-von-10 … … you name it. Und vielleicht sogar das, was ich mir von einer Bonuszahlung leiste.

Das Ziel macht ein Hinzu möglich: Es gibt die Richtung an, bündelt Energie, fokussiert. Wollen wir alle, richtig? Und in manchen Kontexten führte es dazu, dass das „weg-von“ weggewischt wird. „Hast du auch eine Lösung?“ „Was ist deine Alternative?“

Gute Fragen! Passiert das zu schnell, sprechen Coachees wieder vom „Problem“, sie lösen sich sozusagen nicht. Oder Menschen re-agieren anhand unausgesprochener Widerstände, einem Hindernis zu fokussierter Bewegungsenergie. So oder so: Der Fokus geht nicht aufs Ziel.

Das Problem würdigen

Dann will das Problem erst mal gewürdigt werden.

Würdigen bedeutet dabei nicht, in einem Problem herumzustochern. Eher, aufmerksam zuzuhören. Auf mich wirkt das, also würde jemand Energie sammeln, die dann hilft, eine Richtung und ein Ziel für den nächsten Schritt zu finden.

Und wie geht dieses Würdigen? Je nach Kontext kann das unterschiedlich sein:

  • aufmerksam zuhören, Dinge bemerken
  • Wertschätzen, dass jemand die Situation aushält, so klar benennen kann, weg davon will, eigene Anteile sieht, so aufmerksam beobachtet … irgendetwas geht immer.
  • Anflug von Humor: uiuiu, da ist ja ganz schön viel los. Ein Wunder, dass es trotzdem klappt, oder?
  • Vergleiche / Bilder: Wenn du ein Symbol malen würdest, das „dafür“ steht – was wäre das?
     

Ein Problem würdigen bedeutet Anerkennung und mehr

In der Regel bedeutet dieses Würdigen, dass das Problem oder die Ausgangssituation Zeit haben darf. Nicht jede Person und erst recht nicht jedes Thema braucht die Würdigung. Und wenn das „Weg-von“ immer wieder Thema wird, könnte es sein, dass da etwas noch nicht gesehen wurde, dass wir nicht gleich zur Lösung / Antwort / Optimierung gescheucht werden wollen. Ein paar Ideen, warum das wirksam sein kann:

♦ Ein Weitergehen oder Lösen wird möglich, wenn Dinge gesehen wurden, zum Beispiel ein Sich-unfair-behandelt fühlen, Verletzt-sein … das sehe ich in fast jeder Trauerbegleitung.

♦ Das „weg-von würdigen“ bedeutet auch, die Leistung in der Situation anzuerkennen, zum Beispiel das Aushalten oder das Damit-zurecht-kommen.

♦ Es richtet den Strahler darauf, warum jemand etwas verändern will. Das kann die Energie zur Veränderung abholen, und das ist gut. Denn Veränderung kann ganz schön anstrengend sein, und alle Energie, die uns zur Verfügung steht, ist hilfreich. Das hilft besonders, wenn jemand Angst vor Veränderung hat, oder unsicher ist.

♦ Und: Das Weg-von hilft mir manchmal, mein Anliegen klarer zu sehen. Ich persönlich kann nicht immer sofort benennen, was mich stört, ich brauche manchmal die Runde über das Problem:

Was ist das, was mich stört? Das ganze Ding? Die Farbe? Die Form? Die Konsistenz? Der Zeitpunkt? Schon immer oder nur das eine Mal?

Ich persönlich kann mich dem „Und wie anders“ manchmal erst dann zuwenden, wenn ich das „so nicht“ für mich durchgewalkt und verpackt und weggeräumt habe (ohne dass die Lösung etwas mit dem Problem zu tun haben muss).

Und mit dem allen kann es dann um das Problem gehen.

In einem früheren LinkedIn Post habe ich die Szene aus der Unendlichen Geschichte zitiert, in der Bastian die Kindliche Kaiserin im neu erschaffenen Phantásien trifft. Und dieses Phantásien ist leer, es wird erst durch seine Wünsche wieder Wirklichkeit.

Der erste Wunsch braucht etwas Anlauf – und startet dann mit einer Hinzu-Motivation. Nach dem ersten Gedanken wird es viel einfacher, aus den vielen Details in Bastians Wünschen und Geschichten entsteht Phantásien neu.

Doch was tun, wenn man noch kein Ziel hat? Wenn das weg-von da ist, aber noch kein hin-zu konkret wird?

Dann beginnt der schönste und nachhaltigste Teil eines Coachings: Das Explorieren des Ziels.

Wenn das Problem nicht mehr ist, was ist stattdessen da? Wie bemerkst du das? Wie wirkt sich das für dich aus? Was ist dir dann möglich?

Wie bemerkt dein_e Partner_in / Kolleg_in / X das?

Was kann hier und heute passieren, sodass du in deinem Alltag eine Veränderung in diese Richtung bemerkst?

Mit diesen Fragen nähern sich Coachees ihren intrinsisch motivierten Ziele an. Und je detaillierter der Zielzustand ausgeschmückt werden kann, desto mehr Zugkraft kann er entfalten.

Was beim Ausschmücken auch passieren kann ist, dass das Ziel sich im Lauf einer Session ändert, und erst recht einer längeren Entwicklung. Es kann detaillierter werden, Aspekte rechts oder links einschließen, Dinge ausschließen und so kleiner im Fokus werden, und es kann sich auflösen, weil es etwas anderes dahinter zum Vorschein kommt.

Einer der grundlegenden Sätze im lösungsfokussierten Coaching ist: Der Lösung ist es (meistens) egal, wie das Problem entstanden ist. Darin steckt auch die Erkenntnis, dass die Lösung nicht das gelöste Problem ist – also nicht der Knoten, der so lange aufgedröselt wird, bis da wieder eine Schnur ist.

Eine Lösung ist die Abwesenheit des Knotens oder ein Zustand, in dem der Knoten keine Rolle spielt. Die Lösung bezieht sich auf die Schnur, nicht auf den Knoten. Und eine andere Lösung für die Schnur kann sein, auf der Schnur weiterzurutschen, dann ist da auch kein Knoten mehr. Oder die Schnur für etwas zu benutzen, bei dem der Knoten egal ist. Oder herauszufinden, wie man verhindert, dass es diesen Knoten wieder gab (weil er schon häufiger auf dieselbe Weise entstanden ist).

Aus der Trauerbegleitung weiß ich, wie wirksam diese Haltung ist: Denn das eigentliche „Problem“ – der Tod des betrauerten Menschen – lässt sich nicht lösen, aufdröseln oder ändern. Das wird (nach allem, was ich in dieser Welt erlebe) so bleiben.

Dieser Knoten bleibt. Also braucht es hier die andere Lösung: Mit dem Knoten leben lernen.

Als Coach unterstütze ich das am besten mit Offenheit, denn ohne Annahmen oder inhaltliche Erwartungen halte ich den Raum, in dem der_die Coachee den gelösten Zustand entfaltet. Was da kommt, und wieso das eine gelöster Zustand ist, muss ich (erst einmal) nicht verstehen, und schon gar nicht bewerten.

Hilfreich für diese Offenheit ist Zuversicht, dass es gelingt. Und dass alles da ist, was es braucht.

Im Frühjahr ist mir die Akquise-Power ausgegangen. Ich hatte keine Ideen mehr, wie ich mit meinem Herzensthema weiterkommen konnte: Trauer-Management für Unternehmen relevant machen.

Mir fehlte es gefühlt an allen Enden: Für Angebote kreativ werden und Wege finden, Feedback zu bekommen? Mich mit Leichtigkeit mit meinem Thema nach außen zu zeigen? Drive, um Posts zu schreiben, Menschen zu kontaktieren? Immer wieder neu zu denken: Was könnte für diese Organisation ansprechend sein? – Nichts ging mehr leicht von der Hand.

Warum?

Ich war (nach einem Infekt) schlecht ins Jahr gestartet, hatte dann einiges zu tun, und das erste Jahr Selbständigkeit steckte mir auch noch in den Knochen. Dann kündigte ein großer Kunde im Content-Bereich. Puh… und dann war die Luft raus.

Im Selbst-Coaching hab ich mir die Frage gestellt: Was war in meinem Leben insgesamt anders zu den Zeitpunkten, als Leichtigkeit und Kreativität und Drive meine Begleiter waren?

Und die Antwort war so instant da, dass ich mich gefragt habe, wie ich das übersehen konnte: Ich war in den letzten Jahren entweder in einer längeren Weiterbildung oder knietief in der Vorbereitung für die nächste. Und jetzt – nichts. Ich hatte zwar etwas geplant für Ende 2024, und das war noch echt weit hin.

Ich hab gleich wieder angefangen:

  • einen kleinen Online-Kurs gestartet, der schon lange auf meiner Liste stand,
  • mich zu einem zweiten Thema mit Literatur eingedeckt, und
  • mir erlaubt, mich morgens 30 Minuten mit einem der beiden Themen zu beschäftigen.

 

Und siehe da: Gleich nach der 2. Session hatte ich wieder Ideen, wie ich weitermache.

Seitdem poste ich wieder, kontaktiere Menschen, schreibe Mails und bekomme Antworten. Und ich bin auch sonst wieder mit Gusto dabei, beim Tagesgeschäft und Sonderprojekten. Und ich lerne weiter – etwa drei Mal pro Woche.

Hat mein Lernen was mit Akquise zu tun. Nein. Und genau deswegen habe ich keine Lösung gefunden, solange ich mich nur nach dem Warum gefragt habe. Die Veränderung, die mir wieder Drive und Energie gegeben hat, wirkt indirekter.

Das ist ein Beispiel für den systemischen Ansatz im Coaching, wie es auch Steve de Shazer beschreibt:

Wenn sonst nichts funktioniert, ändere irgendetwas.

Und in meinem Fall war es etwas, das früher schon einmal funktioniert hat.

Das verändert die Umwelt / das System, und diese Veränderung könnte dazu führen, dass das Problem nicht mehr auftritt. Dazu brauche ich auch kein küchen-psychologisierendes „Warum“ das klappt. Denn die Lösung hat nicht unbedingt etwas mit dem „Warum“ des Problems zu tun.

Sondern nur damit, dass das Problem kein Problem mehr ist.

Dank meiner Sneaker hab ich das Schuheputzen vergessen.

Gemerkt habe cih es, als ich vor ein paar Wochen meine Sommer-Riemchen-Sandalen aus dem Schuhschrank draußen geholt habe. Die Riemchen waren ganz hart geworden. Beim Draufstarren fiel mir ein, dass ich diese Lieblingsschuhe seit mindestens 5 Jahren besitze, und noch nie geputzt habe. Und dass ich seit Jahren überhaupt kaum noch Schuhe putze. Sneaker und Co aus Nubuk und Synthetikmaterial fragen nach „einmal abbürsten und imprägnieren bitte“. Und das alles nur nach Bedarf.

Warum ist mir das einen Post wert? Weil mir diese Kleinigkeit viel über Routinen und Ziele gezeigt hat:

Ich habe früher regelmäßig Schuhe geputzt. Sicher nicht ganz so oft, wie ein Lederfachmensch mir empfohlen hätte, aber alle paar Wochen eben schon. Das war natürlicher Teil der Hausarbeit, wie Bettenabziehen oder Wasserkocher entkalken…

Und was ist mit dieser Routine passiert? Sie war mir irgendwie abhandengekommen, vielleicht weil viele Schuhe plötzlich anders gepflegt werden wollten oder weil Imprägnierspray viel praktischer ist. Oder weil Schuhe putzen zwar ok ist, aber mehr auch nicht…

Und dabei sind meine roten Lieblings-Leder-Riemchen-Sandalen fast unter die Räder gekommen.

Wie ging es aus? Ich hatte es eilig und keine Zeit zum Putzen. Also habe ich mir einen Reminder in den Kalender gesetzt und die Lederpflege am Abend nachgeholt. Mit viel Wonne und einer Schuhlotion, die das Leder wieder richtig schön weich macht. Zwei weitere Schuhpaare habe ich gleich mit vor der Vernachlässigung gerettet. Puhhh 😉

Nach vollbrachter Tat habe ich die Schuhlotion mit Tuch direkt im Schuhschrank deponiert – damit ich sie öfter sehe und schneller im Zugriff habe. Mal sehen, ob das klappt und ich meinen Lieblingsschuhen wieder etwas häufiger Maintenance-Zeit schenke.

Oder abstrakt formuliert: Manche Ziele lassen sich leichter erreichen, wenn man

  • sich aktiv realistische Reminder für ein Vorhaben setzt (mein Reminder),
  • das zu Tuende an Routinen koppelt (steht noch aus – und hat schon mal geklappt),
  • in der Vergangenheit nach guten Beispielen oder sogar Routinen sucht (Zuversicht, dass es wieder klappt)
  • und diese sie re-inszeniert oder re-aktiviert,
  • sich jeden einzelnen Umsetzungsschritt so einfach wie möglich macht (Pflege + Lappen neben den Schuhen deponieren),
  • die Freude am Ziel genießt (bei Lieblingsschuhen echt einfach).


Was noch? Was hilft euch, eure übertragenen Lieblingsschuhe gut in Schuss zu halten?

Flashback: Während ich meine Riemchensandalen eingecremt habe und über alte und neue Routinen nachgedacht habe, kam mir ein Bild aus meiner Kindheit: Jeden Montag hat meine Mutter – oder war es meine Oma (?) – die Schuhe der ganzen Familie (vier Erwachsene, drei Kinder) auf einer alten Zeitung aufgereiht, die uralte Schuhpflege-Box geholt und sich an die Arbeit gemacht. Besonders gründliche Behandlung bekamen natürlich die Sonntagsschuhe. Dagegen war mein ca. monatliches Putzen schon richtig nachlässig.

–> Und auch das ist die Kraft von Routinen: Sie lassen Platz im Kopf zum Gedankenschweifen.

de_DEDE
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