Schmuckbild Berg erklimmen mit hilfe
Bild: Sasin Tipchai, Pixabay

Die Kraft der Verbindung in der Trauer

Tod und Trauer finden in unserer Gesellschaft allzu oft hinter verschlossenen Türen statt. Leider. Denn Trauer gehört zu uns als soziale Wesen: Wir binden uns an Menschen, und wir trauern um sie, wenn sie sterben (oder wir sie aus anderen Gründen in unserem Leben vermissen). Das findest du in diesem Artikel:

  • Ideen, wo du dir dein Unterstützungsnetz findest,
  • Impulse, warum du Hilfe annehmen darfst.

Unterstützungsnetz in der Trauer bauen

Wie selbst ein flüchtiger Blick in verschiedene Rituale und Religionen zeigt, trauern Menschen in Verbundenheit: Kaddisch und Rosenkranz sind nur zwei Beispiele für ritualisierte gemeinsame Gebete, die im agnostischen Kontext durch gemeinsames Singen oder das Steigenlassen von Luftballons abgelöst wurden; auf dem Land gibt es oft noch eine Dorfgemeinschaft, die bei einer Beisetzung zusammenkommt; und in der Stadt geben Trauergruppen Gemeinschaft.

Das zeigt: Trauer muss uns nicht alleine ertragen oder durchgekämpft werden – oder gar in die Isolation führen. Wir dürfen bei Trauer Unterstützung annehmen, egal wie lange Trauer dauert. Doch wo finden wir sie? Der Artikel spannt die drei Kreise unseres Unterstützungsnetzes auf.

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Jemand in deinem Umfeld trauert?
In diesem Blogartikel findest du
Gedanken, wie du bei Trauer helfen kannst.
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Regentropen auf Wasser Schmuckbild konzentrische Kreise

Trauer ist sozial: Unterstützung in konzentrischen Kreisen denken

Wenn Menschen trauern, entdecken sie – oft überraschend für sich selbst – die Kraft durch Verbundenheit. Denn auch wenn Trauer eine zutiefst persönliche Erfahrung ist, muss sie nicht dazu führen, sich isoliert oder allein zu fühlen.

Im Gegenteil: Wer Unterstützung zulässt, findet oft Trost, Verständnis und Kraft in der Gegenwart anderer.

Freunde oder Familie leisten neben emotionaler Unterstützung oft praktische Hilfe bei der Alltagsbewältigung.

In Selbsthilfegruppen oder Online-Gemeinschaften kann sich ein Unterstützungsnetz in einem sicheren Raum ergeben; mit den neuen Bekannten, die ebenfalls einen Verlust erlebt haben, kann man oft offener sprechen oder man muss sich weniger erklären. Das entlastet.

Trauerbegleitende oder Therapeuten können während des Trauerprozesses unschätzbare Unterstützung und Empathie bieten und helfen, an schwierigen Themen zu arbeiten.

Bei vielen Trauernden sortieren sich diese verschiedenen Ansprechpartner in Kreise:

  • Familie und enge Freunde
  • Nachbarn und Bekannte
  • Andere Betroffene als „neue beste Bekannte“
Das Konzept der konzentrischen Kreise beschreibt Sheryl Sandberg in ihrem Buch „Option B“. in diesem Blogartikel gibt es mehr zum Buch und über Trauer und Resilienz.

Sich auf den innersten Kreis verlassen: Familie und Freunde

Familie und Freunde sind der natürliche Rückzugsraum für Trauernde. Diese nahen Menschen kennen den_die Verstorbene_n in der Regel, und sie trauern oft selbst. Diese geteilte Trauer sorgt im besten Fall für gegenseitig offene Ohren und Herzen, und erleichtert Gespräche über den_die Verstorbene_n.

Wenn mehrere Personen einer Familie den Verlust erleben, entstehen manchmal Spannungen. Und in anderen Situationen entsteht ein gegenseitiger emotionaler Beistand. Beides darf sein.

Die Balance funktioniert am besten, wenn alle anerkennen, dass Trauer individuell ist und wenn Raum für jede individuelle Trauer besteht. Viele Trauernde erleben es zudem als hilfreich, dass sie nicht allein über etwas entscheiden müssen (etwa die Details einer Beisetzung).

Je nach Nähe zum_zur Verstorbenen helfen Familienmitglieder oder Freunde zudem bei der Alltagsbewältigung. Ganz praktisch, indem sie zum Beispiel im Haushalt anpacken, durch konkrete Hilfe bei der Organisation der Beerdigung; und nicht zuletzt gehört auch ein sanftes Motivieren der Heilungskräfte (beispielsweise mit der Aufforderung zu einem Spaziergang) zu den Impulsen, mit denen der engste Kreis um den oder die Trauernde herum oft instinktiv hilfreich ist.

Nah und doch ferner: Nachbarn und Bekannte

Familie und Freunde sind der natürliche innere Kreis eines Support-Netzwerks. Nachbarn und Bekannte bilden den nächsten Kreis: Sie übernehmen teilweise ähnliche Aufgaben wie die Familie in der praktischen Alltagsbewältigung – indem sie zum Beispiel Essen vorbeibringen, mit dem Hund spazieren gehen oder Dinge vom Einkaufen mitbringen.

Viele Trauernde berichten auch überrascht, dass bisher Bekannte genau die richtigen Worte oder Gesten gefunden haben. Das wird oft unterschätzt: Wer Menschen an sich heranlässt, findet Anteilnahme – auch dort, wo man keine vermutet hätte.

Um Unterstützung von Familie und Freunden wie Nachbarn oder Bekannten anzunehmen, braucht es eins auf Seiten der Trauernde: die Bereitschaft oder innere Erlaubnis, die Schwere der Trauer zu teilen. Das lernen manche Trauernde erst in der Trauer, und manchmal ist das mühsam. Fällt es dir auch schwer, Hilfe anzunehmen? Dann erwarten dich weiter unten ein paar Gedanken, die dir den Perspektivwechsel vielleicht erleichtern?

„Neue beste Bekannte“ in Selbsthilfegruppen und Online-Communitys finden

Im konzentrischen Modell gedacht gibt außerhalb von Familie und Freunden sowie Nachbarn und Bekannten zusätzliche Ressourcen, die in der Trauer stützen: Selbsthilfegruppen mit anderen Trauernden. Doch warum funktionieren sie?

In Selbsthilfegruppen wie bei den Verwaisten Eltern treffen Trauernde Menschen, die ähnliche Verluste erlitten haben. Die Mitglieder „verstehen einander“ aufgrund der geteilten Verlusterfahrung, sie teilen ihre Erfahrungen und geben sich gegenseitig Raum für ihre Trauer. Das ergänzt für viele Trauernde die Unterstützung durch Familie und Freunde.

Das erleben viele Trauernde als hilfreich:

  • Es spendet Trost, nicht die einzige betroffene Person zu sein.
  • Andere fühlen ähnlich, heißt auch: Meine Gefühle sind normal – die Situation ist es nicht!
  • Teilnehmende teilen Bewältigungsstrategien und Ressourcen.
  • Das Sprechen fällt vielen Trauernden in der Gruppe leichter.

Online-Communitys bieten ähnliche Vorteile wie Selbsthilfegruppen, mit dem zusätzlichen Vorteil oder Nachteil der Anonymität. Viele Menschen fühlen sich in der Anonymität sicherer, anderen fehlt die Nähe. Das muss letztlich Jede_r selbst herausfinden.

Exkurs: (keine) Hilfe annehmen

„Ich will niemanden zur Last fallen“ – sagen manche Trauernde. „Wir schaffen das alleine“, sagen andere (Paare oder kleine Familien), und manchmal mit dem Zusatz „wie sonst auch…“. Hier sind drei andere Perspektiven auf das Stichwort „Unterstützung von anderen“:

Manche Trauernde machen sich damit die Trauer schwerer als sie eh schon ist. Gerade, wenn der oder die Tote uns sehr nah war, und uns unendlich fehlt, müssen Dinge keinen Bestand haben „wie sonst auch“. Zusätzlich zu meinen eigenen Superkräften (die in der Trauer manchmal ganz schön erschöpft sein können) darf ich mir die stützende Kraft eines mitfühlenden Umfeldes gönnen.

Trauer ist die normale menschliche Reaktion auf einen Verlust. Es gibt also keinen Grund, sie zu verbergen, sie als Schwäche anzusehen, sich dafür zu schämen, oder sie zu unterdrücken. Ich finde sogar: Im Gegenteil! Wer Trauer zeigt, traut sich und den anderen offensichtlich zu, auch dieses schwierige Gespräch handeln zu können. 

Wer sichtbar trauert, zeigt nicht nur den Verlust, sondern ehrt auch, was die verstorbene Person für uns war. Dass ich über meine verstorbene Tochter sprechen kann, bedeutet, ihr weiter einen Platz in dieser Welt zu geben. Dagegen raubt die Isolation Trauernden auch mittel- bis langfristig der Chance, über die verstorbene Person zu sprechen.

Wenn du zu denjenigen gehörst, die niemandem zur Last fallen möchten, habe ich einen weiteren Gedanken für dich: Wir machen es vielen Menschen in unserem Umfeld schwer, wenn sie uns nicht unterstützen „dürfen“. Und das bitte nicht falsch verstehen: Ich plädiere nicht dafür, dass wir es anderen recht machen sollen. Sondern: Wir wollen Menschen verschonen, die sich genau dadurch hilflos fühlen.

Genauer: Die selbstgewählte emotionale Isolation stellt unser Umfeld vor die Situation, dass sie nun erst recht nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen. Gleichzeitig sind sie der Chance beraubt, ihre Mit-Menschlichkeit zu leben – und die zeigt sich in Situationen, in denen es jemandem schlecht geht, in Anteilnahme und Unterstützung.

Das ist übrigens „hard-wired“: Weinen oder ein trauriger Gesichtsausdruck appellieren an das Mitgefühl und die Hilfe unserer Mitmenschen. Spannend, oder? Sie sind also kein Zeichen von Schwäche, die wir einsam durchleben,  sondern ein Zeichen an unsere Umwelt, dass wir sie brauchen.

Selbstfürsorge und professionelle Hilfe

In der Trauer ist es enorm wichtig, auf die eigene Selbstfürsorge zu achten. Denn Trauer ist körperlich und emotional anstrengend. Deswegen dürfen und müssen die eigenen Bedürfnisse gehört werden, und einen Ausgleich zu schaffen, wenn es zu viel wird. Das kann bedeuten, sich auszuruhen, gesund zu essen, regelmäßig zu bewegen und sich Zeit für Aktivitäten zu nehmen, die Freude bereiten. Und es kann heißen, sich Zeit zu nehmen für Sehnsucht und Vermissen.

Selbstfürsorge kann durch professionell Helfende gefördert werden kann. Ausgebildete Trauerbegleitende oder Trauer-Coaches (ja, ich zum Beispiel) oder auch medizinisch ausgebildete Experten wie Trauma- oder Psychotherapeuten sind möglicherweise auch Ansprechpartner_innen, wenn es erschwerende Faktoren in der Trauer gibt. Zum Beispiel, wenn es mehrere Todesfälle hintereinander gab, wenn es zusätzlich im Beruflichen hakt, oder wenn der Tod besonders nah oder unvorbereitet zuschlägt, wie beim eigenen Kindes oder dem Partner / der Partnerin, bei Tod durch Suizid, Unfall oder gar eine Gewalttat.

Trauer-Coaches oder Therapeuten helfen, zu stabilisieren und Ressourcen zu finden, schwierige Emotionen zu verarbeiten, traumatische Ereignisse zu bewältigen. Sie können auch dabei den Weg ebenen, um neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln und den Verlust langfristig zu integrieren – also einen Umgang mit dem Leben ohne die verstorbene Person zu finden.

Du scheust dich, professionelle Hilfe in der Trauer aufzusuchen? Dabei würdest du für körperliche Traumata oder Schmerzen auch Hilfe bei einem Spezialisten suchen. Deine emotionale und psychische Stabilität darf dir das Gleiche wert sein.

Bedeutung und Sinn (wied)er-finden

Je näher der_die Verstorbene oder je plötzlicher der Verlust, desto eher stellt die Trauer das Leben auf den Kopf. Dann ist es oft schwer, Sinn oder eine Bedeutung im eigenen Leben zu finden. Und so seltsam sich das anhört: Für viele Menschen ist es eine direkte Folge der Trauer, dass sie eine tiefere Bedeutung und Sinn wiederfinden.

Dies kann bedeuten, sich auf die Erinnerung an den oder die Verstorbene_n zu konzentrieren und sein_ihr Vermächtnis am Leben zu erhalten. Es kann auch bedeuten, neue Ziele oder Zwecke zu finden und sie in Ehren des Verstorbenen zu verfolgen. Mehr im Blogartikel übers Sinn finden.

Die transformative Kraft der Verbindung in der Trauer

Die Trauer ist eine individuelle Erfahrung, aber sie muss nicht in die Isolation führen. Die Verbindung zu anderen stützt und kann sogar eine transformative Kraft entwickeln. Familie und Freunde bilden oft den natürlichen engsten Kreis der Unterstützer, gefolgt von Nachbarn und Bekannten. Und auch Selbsthilfegruppen, Online-Communities oder Trauerbegleitende können Unterstützung leisten.

Voraussetzung ist, dass der oder die Trauernde bereit ist, Unterstützung anzunehmen. Ist das gegeben, können das Erzählen der eigenen Geschichte und das Teilen mit anderen heilsam sein. Denn die Verbindung zu anderen in der Trauer ist so alt wie die Menschheit selbst – wir müssen sie nicht neu er-finden. Wir bringen sie wieder und wieder in passende neue Formen.

Lassen wir das zu, können wir als Trauernde einen Weg durch unbekanntes Terrain finden – mit der berechtigen Hoffnung auf neu entdeckte Freude am Leben.

de_DEDE
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