
Trauer-Gefühle und Trauer-Symptome: Die vielen Gesichter der Trauer
Wie kann man Trauergefühle beschreiben? Ist Trauer = Traurigsein. Welche Symptome gibt es bei Trauer? Und kann es sein, dass Trauer nicht verarbeitet wird?
Trauer ist keine Emotion sondern der Zustand nach einem Verlust, in dem die Anpassung an ein Leben „danach“ passiert. Man könnte auch sagen: Trauer ist eine Fähigkeit und ein Prozess. So verstandene Trauer äußert sich in vielen Emotionen und nicht selten in einem schnellen Wechsel zwischen ihnen.
Und ehrlich gesagt ist das kein Wunder, denn wenn ein Mensch um jemand Nahestehenden trauert, dann bedeutet das ja, dass das ganze Leben plötzlich ohne diese Person weitergehen soll – und sich daran zu gewöhnen ist anstrengend.
Wie fühlt sich Trauer an?
Bedeutet Trauer, immer traurig zu sein? Was sprachlich verwandt klingt, führt uns schnell in die Irre. Denn Trauer ist viel mehr als Traurigsein. Wie fühlt sich Trauer an?
Traurigsein oder Traurigkeit (verwende ich hier synonym) ist eins von vielen Gefühlen in der Trauer. Und daneben kann man andere Trauergefühle beschreiben, etwa Wut, Angst, Scham oder Schuld. Und auch Dankbarkeit. Warum ist das so?
Trauergefühle: immer anders
Trauer fühlt sich für jede Person ein bisschen anders an und meistens gleicht kein Tag dem anderen. Das liegt auch daran, dass Trauer nicht nur eine Emotion ist, sondern ein ziemliches Auf und Ab von vielen Gefühlen, etwa Traurigkeit, Wut, Angst, Scham oder Schuld, Sehnsucht oder Neid. Alle diese Gefühle haben ihre Berechtigung im Trauerprozess. Denn sie zeigen uns, was wir benötigen, oder sie schützen uns vor etwas.
Zu den einzelnen Gefühlen gibt es Erklärungen in den Abschnitten unten.
Sich bewusst zu machen, wozu wir ein Gefühl haben, hilft uns, mit diesen Emotionen umzugehen, und zeigt, wie wir für uns sorgen können. Letztlich können wir Trauergefühlen so ein bisschen besser begegnen und wir sind ihnen weniger stark ausgeliefert.
In der Trauer nach dem Tod eines wichtigen Menschen sind viele dieser Emotionen besonders stark… vielleicht weil der Verlust so plötzlich kam, so stark trifft, weil unsere Energiereserven leerer sind, weil die Zukunft so unsicher scheint, oder weil unser Grundvertrauen erschüttert ist.
Gerade in der akuten Trauer wenige Wochen und Monate nach dem Todesfall ist das sicher „normal“.
Normal muss dabei nicht heißen, dass wir Ihnen ausgeliefert sind, dass wir keine Regulationsversuche unternehmen sollten, oder wir uns nicht helfen lassen können. Im Gegenteil: Trauernde dürfen mit ihren Gefühlen umgehen lernen und dabei Hilfe von anderen annehmen.
Und: Normal heißt in der Trauer auch, dass Gefühle mal stärker, und mal schwächer sind, dass sie sich im Laufe der Zeit verändern.
Deswegen: Wenn Sie gar keine Veränderung in Ihren Emotionen feststellen können, oder wenn sie nach einigen Monaten noch die gleiche Wucht zu haben scheinen wie in den ersten Wochen nach dem Todesfall, und erst recht, wenn diese Emotionen sich gesundheitsschädigend auswirken, dann nehmen Sie bitte Hilfe in Anspruch – sei es über Ihren Arzt, oder in einer qualifizierten Trauerbegleitung!
Trauergefühle beschreiben: So kann sich Trauer anfühlen
Hier gibt es eine Auflistung von häufigen Gefühlen in der Trauer mit Erklärungen, wofür diese Gefühle gut sein können.
Wie hängen Traurigkeit und Trauer zusammen?
Traurigkeit ist sicher die Emotion, die wir sofort mit Trauer in Verbindung bringen.
Traurigkeit hat eine Schwere, die Menschen hinunterzieht. Und diese Abwärtsbewegung gilt nicht nur emotional, sondern auch im Gesichtsausdruck: Bei Traurigkeit zeigen die Mundwinkel nach unten, als seien sie schwer, wie beim Emoji 🙁
Eine weniger starke Traurigkeit könnte man als Niedergeschlagenheit bezeichnen.
Traurigkeit ist eine von mehreren Emotionen, bei denen viele Menschen weinen, und bei Weitem nicht die Einzige.
Und wozu ist das gut?
Traurigkeit führt oft dazu, dass wir innehalten und nach innen blicken – in der Trauer nehmen wir uns so z. B. Zeit, uns mit dem Verlust zu beschäftigen, oder uns zu verabschieden. Die Schwere und das Nach-Innen-Blicken von Traurigkeit ist ein bisschen wie ein Knopf zum Verlangsamen. Und das hilft uns vielleicht besser zu begreifen, was gerade passiert.
Traurigkeit kann uns auch dazu bringen, mit jemandem zu sprechen, Hilfe zu suchen oder uns trösten zu lassen. Und wenn wir uns weniger allein fühlen, stärkt das die meisten von uns – gerade im Einsam-fühlen nach einem Verlust.
Wie können wir das nutzen? Nehmen Sie sich Zeit für Traurigkeit, schauen Sie auf das, was sie traurig macht und fragen Sie sich: Was brauche ich noch? Das müssen sie nicht allein tun, das geht sehr gut im Gespräch mit jemandem – dafür ist Traurigkeit ein Signal.
Warum haben Trauernde manchmal Angst vor der Zukunft oder um andere Familienmitglieder?
Angst haben wir bei Unsicherheit und um das, was uns wichtig ist. Wenn Sie nach einem plötzlichen Todesfall also plötzlich Angst um Ihr Kind haben, hat dieser Todesfall Ihnen vielleicht Sicherheit geraubt, die Sie bisher nie hinterfragt hatten.
Wenn Sie Angst haben, fragen Sie sich: Was genau ist es, das mir Angst macht? Die Unsicherheit, das Alleinsein, das Ausgeliefertsein? Gerade in der Trauer um einen sehr nahen oder wichtigen Menschen ist es die unsichere Zukunft, die vielen Menschen Angst macht.
Zu wissen, woher die Angst kommen könnte, ist ein erster Schritt, ihr zu begegnen; konkrete Maßnahmen zur Vorsorge zu treffen, ein zweiter.
Dafür ein paar Ideen:
- Sprechen Sie mit Ihrem Umfeld, warum Sie gerade häufiger Angst verspüren.
- Treffen Sie Absprachen mit Personen, um die Sie Angst haben: Nachrichten wie „bin gut angekommen“ oder „komme etwas später“ beruhigen. Oder auch ein Emoji am Morgen, das für Sie beide bedeutet: Alles ok hier.
- Und: Testen Sie immer wieder aus, ob die Angst noch da ist oder ob sie schon abgeklungen ist.
- Wenn Sie Angst vor dem Alleinsein haben, könnten Sie prüfen, wer Ihnen guttut, mit wem Sie sich gern umgeben. Möglicherweise sind auch ein neues Hobby oder ein Ehrenamt eine Chance, neue Menschen kennenzulernen.
- Nicht zuletzt sind Trauergruppen eine Gelegenheit, andere Menschen in einer ähnlichen Situation kennenzulernen – und diese Begegnungen lindern das Gefühl, dass wir allein mit einem Schicksalsschlag sind.
- Wenn Sie Angst vor Aufgaben in der Zukunft haben, prüfen Sie, ob Checklisten, Termine für Beratungsgespräche oder andere Arten von Planung und Vorbereitung kurzfristig Abhilfe schaffen. Und langfristig sollte sich diese Angst wieder legen, sodass Sie die „Versicherungen“ immer weniger benötigen.
- Bitten Sie Menschen im weiteren Umfeld um Verständnis, wenn schnelle Veränderungen Ihnen im Moment Angst machen oder jetzt gerade für Sie anstrengend sind.
- Sie können um Nachdenkzeiten bei wichtigen Entscheidungen bitten oder sich mit Freunden oder anderen nahen Menschen beraten, wenn Sie vor einem zukünftigen Ereignis Angst haben.
Und: Ich spreche von Angst, die manche Menschen übergangsweise bei einem schweren Schicksalsschlag erleben. Die darf heftig sein, und sie sollte (zumindest nach einiger Zeit) abnehmen oder zumindest in der Intensität schwanken.
Es gibt Menschen, die schnell ängstlich sind, sie leben mit Angst nicht nur in einer Ausnahmesituation, sondern als Grundgefühl – davon spreche ich hier nicht. Wenn Sie sich darin erkennen, suchen Sie sich bitte Hilfe.
Eine übersteigerte Form von Angst ist Panik. Hier wirkt sich Angst so aus, dass sie förmlich unsere Überlebensinstinkte auslöst: kämpfen, fliehen oder totstellen. Auch hier: Beobachten Sie sich (oder die Person neben sich), ob diese Art von Panik im Laufe der Zeit seltener wird, oder einfacher regulierbar ist. Auch hier: Und suchen Sie sich unbedingt Unterstützung, wenn das häufiger auftritt.
Hilflosigkeit zeigt sich meistens in anderen Gefühlen, zum Beispiel in Wut oder Verzweiflung. Und Hilflosigkeit spielt für Trauernde eine besondere Rolle. Denn der Tod ist etwas, das wir nicht ändern können – und das ist vielen von uns fremd und schwer zu akzeptieren.
Je nach Umständen sind Trauernde eventuell auch überrollt von den Ereignissen rund um den Tod, und überfordert von der Menge an Papierkram, mit dem sie bisher noch nichts zu tun hatten.
Das Gute an der Hilflosigkeit: Sie appelliert an das Umfeld, einzuspringen, zu unterstützen – das ist gut. Auch wenn wir es nicht gewohnt sind, Hilfe anzunehmen. Wer sich doch überwindet, wird doppelt belohnt: mit konkreter Hilfe und dem Gefühl, nicht allein dazustehen.
Eine zweite Art, der Hilflosigkeit gegenüberzutreten, ist sich vor Augen zu führen, was man in anderen Bereichen schafft: egal, ob Haushalt, Job, Kinder – es gibt sicher einen Lebensbereich, in dem Sie weiter funktionieren, und oft sogar sehr gut. Machen Sie sich das bewusst!
Ein Tipp für das Umfeld: Lassen Sie die trauernde Person Entscheidungen treffen, fragen Sie sie nach ihrer Meinung. Manchmal wird – aus guter Absicht – für eine trauernde Person oder Familie entschieden, ohne sie einzubeziehen, oder zu fragen, ob sie mitreden möchten. Dabei sind es oft die kleinen Entscheidungen – zum Beispiel über das Essen nach der Trauerfeier – , mit denen wir der Ausweglosigkeit von Hilflosigkeit etwas entgegensetzen können.
Verzweiflung hat viel von Angst und Traurigkeit… für mich fühlt sie sich an wie eine Kombination von beiden, verbunden mit einer Ausweglosigkeit oder Perspektivlosigkeit. Verzweiflung kann mit einem Gefühl der Ohnmacht verbunden sein. Was hier hilft:
- Finden Sie Dinge finden, die funktionieren, die Sie gut schaffen oder die sie beeinflussen können (oder eine Person in Ihrem Umfeld).
- Lernen Sie, sich an das Sichere im Leben zu erinnern – von der Unterstützung einer lieben Freundin oder eines Partners bis zur Sicherheit, wenn jemand Sie in den Arm nimmt.
- Üben Sie körperliches Sicher-Versichern, indem sie zum Beispiel die Füße auf dem Boden spüren, sich im Sitzen fest auf die Oberschenkel klopfen, die Hände fest reiben und ähnliches.
- Finden Sie heraus, was Sie ins „Hier und Jetzt“ bringt – und dafür gibt es viele Ansätze, von Meditation und Yoga über Sport, die Natur oder Musik.
Gerade nach einem schwer empfundenen Verlust kann die Verzweiflung in einen Sinn- und Weltverlust münden. Hier verändert der Tod die eigene Welt grundlegend, er „stellt alles auf den Kopf“. Wenn Sie im Umfeld einer trauernden Person sind, gilt hier: Aushalten.
Als trauernde Person ist das ein Thema für eine Trauerbegleitung: Hier können Sie sammeln, was trotzdem funktioniert, was stützt.
Wut ist eine Form der Aggression, und so wirkt sie auch: Wut mobilisiert Kraft, um uns zum Beispiel gegen etwas zu wehren, für oder gegen etwas zu kämpfen. Ich setze sie hinter die Verzweiflung, weil sie für mich das Gegenstück ist: Verzweiflung bedeutet Hoffnungslosigkeit und hat etwas Passives, Wut wehrt sich dagegen.
Wut kann viele Formen annehmen, Klassiker sind Schreien, Um-sich-Schlagen, etwas zerstören… nicht umsonst wird diese Kombination oft als „wüten“ bezeichnet.
Bei Wut können wir uns fragen: Wogegen wehre ich mich? Ist es eine reale Bedrohung? Richtet sich meine Wut überhaupt gegen das richtige Ziel? Den Tod kann ich zum Beispiel ab einem gewissen Punkt nicht bekämpfen, und manchmal wird daraus Wut auf Gott und die Welt. Könnte es hilfreich sein, den Tod anzuschreien, oder die Ungerechtigkeit der Welt? Statt den Partner oder die Arbeitskollegin?
Oder auch: Und wie kann ich der Wut und dem Ziel meiner Wut anders begegnen? Kann ich lernen, den Schmerz über den Verlust zuzulassen, damit die Wut weniger wütend wird?
Und gleichzeitig bin ich froh, wenn Trauernde wütend sind. Denn hier zeigt sich ein Lebenswille und ein Impuls von Nicht-Opfer-sein, ein Sich-Wehren gegen stilles Er-Leiden, das Antrieb sein kann.
Schuldgefühle sind komplex, egal ob sie sich gegen das Selbst oder eine andere Person richten (Schuldvorwürfe). Ein Schuldgefühl kann entstehen, wenn es eine Lücke gibt zwischen dem, was richtig gewesen wäre, und dem, wie etwas passiert ist. Dieses „offene Rechnung“ soll beglichen werden, ent-schuldet.
Oder Schuldgefühle sind ein Mittel, dass es anders hätte laufen können – das berühmte „Was wäre, wenn ..“-Spiel. Und so schlimm das auch sind: Sie geben uns Kontrolle zurück. Und manchmal ist es einfacher auszuhalten, dass wir schuldig sind, als machtlos zu sein.
Seien Sie bei dieser Art von Schuldgefühl bitte geduldig und einfühlsam mit sich selbst und anderen.
Für Menschen im Umfeld: Bitte beschwichtigen Sie nicht, das erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, dass die trauernde Person nicht über die Schuldgefühle spricht. Mit der Zeit, in einem empathischen Umfeld oder mit den Impulsen einer qualifizierten Trauerbegleitung, können sich Schuldgefühle wandeln.
Und: Wenn „Schuld“ ein Lebensthema ist, sollte z. B. im Rahmen einer Therapie angeschaut werden.
Übrigens: Schuldgefühle sind keine reinen Gefühle!
Chris Paul, die ein tolles Buch über Schuld bei Trauende geschrieben hat (Schuld. Macht. Sinn), verortet Schuld in Ihrem Trauer-Kaleidoskop nicht bei den Gefühlen ein, sondern beim Einordnen, und entlarvt damit den Gedanken-Anteil an den Schuldgefühlen.
Scham führt dazu, dass wir uns verstecken vor einem vermeintlich heftigen Urteil der Außenwelt, das uns schmerzt und vielleicht sogar isoliert. Davor will uns Scham erst einmal schützen. Im Zusammenhang mit Tod und Trauer begegnet uns Scham besonders bei stigmatisierten Todesarten wie Suizid.
Und dadurch ist Scham im Weg, um uns zu öffnen und Empathie zu erfahren oder Hilfe anzunehmen. Das gilt zum Beispiel, wenn Trauernde sich schämen, ein Trauerfall zu sein, verletzlich zu wirken oder vermeintliche Schwäche zu zeigen.
Was am besten hilft, ist leider das, was am schwersten wirkt: Kontakt mit einem Umfeld, das nicht urteilt oder die vermeintliche Schwäche ausnutzt. Wenn Sie sich nach einem Verlust schämen, wäre eventuell ein Gespräch mit einer unbeteiligten Person hilfreich, zum Beispiel einem Arzt oder mit einer Trauerbegleiterin wie mir. Dann können Sie ihre Scham vertraulich ansprechen, und sich ihr langsam nähern.
Im Umfeld von Trauernden können Sie Wunder wirken, wenn Sie Gegenteil vom erwarteten Urteilen tun: Empathie zeigen.
Neid ist eine Form, einen Mangel zu fühlen, eine gesteigert ausgedrückte Form der Sehnsucht. Damit weist Neid uns auf einen unerfüllten Wunsch hin. In der Arbeit mit verwaisten Eltern begegnet mir diese Emotion oft, augenscheinlich als Neid auf andere Eltern, denen kein Kind gestorben ist. Und versteckter als Neid auf die Unbeschwertheit eines Lebens, in dem das Schlimmste nicht passiert ist.
Wenn Trauernde mir – oft verschämt – von Neid berichten, arbeite ich zum Beispiel mit Aufklärung: Ich grenze Neid als Hinweis auf einen unerfüllten Wunsch von Missgunst ab, die anderen etwas nicht gönnt, das man selbst nicht haben kann. Denn der Satz „Ich bin neidisch auf andere Eltern, die mit ihrem Kind auf den Spielplatz gehen“, wird nicht selten begleitet von: „Ich wünsche natürlich niemandem, ein Kind zu verlieren, … (aber ich will das auch)“.
Für viele Eltern verändert es schon etwas, wenn sie verstehen, dass ihr Neid sich nicht gegen andere richtet. Sondern dass die eigenen Wünsche eine schmerzhafte Form annehmen.
Nicht selten kann nach einer Zeit aus dem Neid Sehnsucht werden…und die ist zwar auch schwer zu ertragen, gleichzeitig bleibt sie mehr im Eigenen – und damit tun sich viele Trauernde leichter.
Ist Sehnsucht ein Gefühl? Ich weiß es nicht. Aber sie zeigt sich nach dem Tod mit einer Wucht, die ich sonst nur bei anderen Emotionen sehe: Sehnsucht bezieht sich auf die Leerstelle, die die verstorbene Person hinterlässt.
Sehnsucht ist das Gegenstück zur Verbundenheit mit der Person, die nicht mehr so da sein kann wie früher.
Hinzu kommt die Sehnsucht, dass alles wieder „wie früher“ wird.
Sehnsucht sucht sich ganz unterschiedliche Ventile wie Weinen oder Schreien, Träume oder Grabbesuche, Erzählungen über den Toten oder kreative Wandlung.
Gefühle wie Verlassenheit, Alleinsein und Einsamkeit können Sehnsucht verstärken. Und darin liegt eine Stütze in der Sehnsucht: Verbindung mit anderen Menschen zuzulassen.
So seltsam es klingt: Manche Trauernde erleben in ihrer Trauer Dankbarkeit, und irgendwann wieder Freude.
Zuerst zur Dankbarkeit: Viele Trauernde können eine tiefe Dankbarkeit für Dinge oder Personen empfinden, die ihnen guttun. Beispiele sind:
- Dankbarkeit um die Zeit mit der verstorbenen Person (durchaus verknüpft mit Sehnsucht)
- Dankbarkeit für Freunde, Familie, den Arbeitgeber oder die Nachbarn, die im Alltag helfen oder Halt geben;
- Dankbarkeit, dass das Leben es sonst so gut mit ihnen gemeint hat.
Das hört sich nach einer romantisierenden Sicht an, und es kommt real vor, als ein Gefühl in der Trauer unter mehreren. Die Dankbarkeit ist eines der Gefühle, das Trauernde stärkt. Diese Momente von Dankbarkeit wechseln sich oft ab mit Wut, Schuld oder Angst. Und sie kommen oft gemeinsam mit Sehnsucht oder Traurigkeit. Das schließt sich nicht aus.
Ein anderes Gefühl, das in der Trauer Kraft gibt, ist Freude – und die erschreckt viele Trauernde erst einmal. „Darf“ ich lachen? Freude spüren? Oder vergesse ich damit meine verstorbene Person?
Freude wieder annehmen können, gehört zu dem, was manche Trauernde nach einem schweren Verlust erst wieder lernen.
Beides, Freude und Dankbarkeit, sorgt dafür, dass Trauernde Kraft schöpfen für die anstrengende Seite der Trauer (mehr in meinem Post über den Begriff „trauerfrei„, auch Trauerpause genannt).
Sind diese Gefühle nun Symptome von Trauer?
Trauer-Symptome: So kann sich Trauer zeigen
Manchmal werde ich gefragt, was Symptome von Trauer sind.
Dann frage ich mich, was Menschen meinen. Denn ich würde den Begriff Symptome nicht verwenden, weil er wirkt, als wäre Trauer eine Krankheit, und das ist sie nicht. Trauer ist normal, Trauer ist die andere Seite von Verbindung.
Die Gefühle, die Trauernde erleben, sind auch keine Symptome, sondern eben starke Gefühle. Und daneben gibt es Wirkungen oder Folgen von Trauer, die viele Trauernde an sich beobachten und die man als „Symptome“ sehen könnte: Dazu gehören etwa
- Vergesslichkeit oder Konzentrationsschwäche,
- Verletzlichkeit oder Dünnhäutigkeit,
- Kraft- oder Energielosigkeit,
- auch abwechselnd mit einem Zuviel an nervöser Energie,
- ein Gefühl von Überforderung,
- oder auch Angst, zum Beispiel vor der Zukunft und um andere nahestehende Menschen.
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Und dann gibt es in der Trauer Symptome des Körpers, etwa Müdigkeit oder Schlafstörungen (mehr unten). Manche Trauernde berichten auch von Herzrasen oder dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Das könnte man als Symptome bezeichnen – und wie die Gefühle gelten sie nicht exklusiv bei Trauer, treten nicht bei allen Trauernden auf und eher Folgen von extremer Anstrengung.
Wie äußert sich Trauer? Und warum?
Denn Trauer ist mega anstrengend. Die Anstrengung hat viel mit Anpassung zu tun: Trauer bedeutet, sich in einem Leben ohne die verstorbene Person einzurichten, und dabei ist es eigentlich nicht fassbar, dass ein naher oder wichtiger Mensch plötzlich für immer weg ist, einfach nicht mehr da ist.
Und es gibt eine Reihe Faktoren, die Trauer noch anstrengender machen: wie nah man der verstorbenen Person war, ob es Ungeklärtes gibt, ob der Tod unvorbereitet kam oder jemand Junges trifft, ob man sich von der lebenden Person und vom Leichnam verabschieden konnte, wie das Umfeld ist, wenn es mehrere Tode gibt oder anderen „Baustellen“ im Leben.
Oft überfordert diese Anstrengung. Das ist ein (Ein-)Leben außerhalb der sogenannten Komfortzone.
Als Beispiel: Stellen Sie sich die ersten Tage in einem neuen Job vor, der sich als absoluter Alptraum herausstellt, und dieses Gefühl haben Sie nicht nur für ein paar Tage sondern über mehrere Wochen. Und Sie können nicht kündigen oder sich krankschreiben lassen. Sie müssen dableiben. Für immer.
Wenn man sich das vorstellt, wird schnell nachvollziehbar, dass Trauer Zuversicht, Lebensfreude und Energie, Kraft rauben kann und Trauernde hin und wieder in die Knie gehen.
Manche Trauernde machen sich zusätzlich Sorgen um andere Familienmitglieder oder um die Zukunft. Auch das belastet und raubt Kraft. Und die Sorgen führen nicht selten zusätzlich zu schlechtem Schlaf, was wieder zur Müdigkeit und Energielosigkeit beiträgt.
Ein Satz noch zum Thema Familie: Wenn andere Familienmitglieder zu versorgen sind, führt das oft dazu, dass jemand einfach funktioniert – in den ersten Wochen ist das noch kein Verdrängen. Mehr dazu unten.
In dieser Situation verletzlicher oder dünnhäutiger zu sein, sich zurückzuziehen, oder weniger belastbar zu sein, ist irgendwie auch ziemlich verständlich, oder?
Und dann bindet das alles irre viel Hirnkappa, was Vergesslichkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten als recht normale Begleiterscheinungen von akuter Trauer erklärt. Ach ja: Das führt oft zu einem veränderten Zeitgefühl, bzw. dazu, dass Trauernde zeitlich nicht gut orientiert sind.
Trauer-„Symptome“ im Körper
Was Trauer genau im Körper auslöst, ist nicht genau erforscht. Aber sie äußert sich ähnlich zu dem, was viele Menschen aus anderen Stresssituationen kennen:
- Appetitlosigkeit,
- Schlafstörungen oder Störungen im Tag-/Nacht-Rhythmus,
- Verdauungsstörungen,
- Erschöpfung oder Momente von körperlicher Schwäche,
- Schmerzen, etwa im Magen oder in der Herzgegend,
- Herzrasen,
- …
Apropos Herz: Wenn zum Beispiel das Kind oder der Partner bzw. die Partnerin stirbt, ist der sprichwörtliche Herzschmerz nicht selten ein echtes Gefühl im Körper, eine unaushaltbar-traurige Sehnsucht, die in der Herzgegend auftritt.
Und trotzdem: Lassen Sie alle körperlichen Symptome unbedingt beim Arzt abklären! Es gibt zum Beispiel das Broken-Heart-Syndrom, eine Herzerkrankung, die auch auf Stress oder Kummer zurückgeführt wird.
Auch ein Symptom von Trauer: neue Sicht auf die Welt
Ein weniger bekanntes Symptom von Trauer, oder eine Folge, ist eine neue Sicht auf die Welt. Und die kann sich ganz unterschiedlich zeigen:
- Gleichgültigkeit, Desinteresse: Manche Dinge oder manche Beziehungen werden weniger wichtig, weil der Verlust so groß ist, dass daneben vieles banal, vielleicht sogar lächerlich scheint. Das ist wie bei einem Diagramm, auf dem fast alle Werte zwischen 0 und 10 sind – und dann gibt es pltzlich einen Ausreißer mit dem Wert 100… Im Vergleich dazu sind die kleinen Werte kaum noch zu erkennen.
- Ausweichen: Wenn z.B. ein Kind in der Schwangerschaft stirbt, tun sich manche Eltern schwer damit, andere Familien mit Kindern zu sehen. Dann weichen sie aus, oder melden sich weniger.
- Dankbarkeit: Und es kann auch ein dankbarer Blick auf die Welt sein, der entsteht – siehe oben.
In der Trauer Gefühle zulassen
Ist es gut, wenn jemand in der Trauer Gefühle zulassen kann? Klar!
Und manchmal sind Trauernde noch nicht so weit. Das ist dann nicht gleich Verdrängen.
Wenn der Todesfall noch nicht so lang her ist, kann es sein, dass die Gefühle noch zu schwer sind, förmlich überwältigend. Und dann ist es gut, wenn sie noch nicht hervorkommen.
Auch Sorge um oder Care-Arbeit für andere kann dazu führen, dass Trauer nicht in voller Wucht eintritt: Wenn in einer Familie zum Beispiel kleine Kinder leben, stellen manche Eltern ihre Trauer unbewusst zurück, um für die Kinder zu sorgen. Ähnliches beobachte ich auch zwischen Elternteilen, z.B. nach einer stillen Geburt.
Das gilt ähnlich, wenn es andere Sorgen oder „Baustellen“ im Leben gibt.
Und auch, wenn erst einmal viel zu regeln ist, kommt Trauern manchmal erst später zum Tragen.
In den ersten Wochen nach einem Tod ist das noch kein Verdrängen. Es könnte bedeuten, dass für die Trauer noch nicht genug Kraft da ist.
Wenn Sie selbst trauern und sich Sorgen machen, dass Sie nicht genug oder nicht „richtig“ trauern, prüfen Sie, wie viel Zeit und Energie Sie gerade haben. Und trauen Sie sich, Hilfe anzunehmen. Sei es im Alltag, um Last abzugeben, sei es in einer Trauerbegleitung, um einen expliziten Raum für die Trauer mit fachkundiger Unterstützung zu schaffen.
Wenn Sie sich also Sorgen machen um eine Person, die kurz nach dem Tod einer nahen Person nicht so trauert, wie Sie das erwartet hätten, können Sie anbieten, Dinge im Alltag abzunehmen, zuverlässig bleiben und Geduld haben.
Damit – und mit der Offenheit, dass Trauer manchmal anders verläuft, als das Umfeld es erwartet – helfen Sie Trauernden am meisten.