[DE] Grief Counseling and Solution Focus
Vom Lösungsfokus inspirierte Trauerbegleitung zeigt sich in Grundhaltungen, die ich – sehr persönlich – als besonders respektvoll empfinde.
Sie helfen mir letztlich, den Raum für ein Weitergehen in der Trauer zu öffen.
Gemeinsames Verständnis von Lösung
Im Lösungsfokus bedeutet Lösung, dass das Problem aufhört zu existieren oder zumindest weniger stark vorhanden ist.
Dieses Verständnis einer Lösung ist die einzige Lösung, die es für Trauernde gibt: einen Zustand finden, in dem das Problem – der Tod eines Menschen – sich weniger stark auswirkt als es in der akuten Trauer der Fall ist.
In der Trauerbegleitung gibt es den (von Chris Paul geprägten) Satz: Trauer IST die Lösung, in Abgrenzung zu Trauer als Problem.
Im Lösungsfokus wie in der Trauerbegleitung bringt es wenig, in einem Problem herumzurühren, das – gewissermaßen als Ausgangssituation – verändert werden soll, damit sich die Lösung als angenommene direkte Folge ergibt. Als wäre es ein einfacher mechanischer Zusammenhang, oder einfach zu erfassende kausale Abhängigkeit.
Beide Haltungen streben vielmehr einen Zustand von „Lösung“ an, in dem das Problem weniger spürbar ist.
Und das ist das „Ziel“ von Trauer als normale Anpassungsreaktion nach einem Verlust.
Gemeinsame Grundhaltungen und Vorfahren
Es gibt weitere Ähnlichkeiten: der Kern der Grundhaltungen für Gespräche (was nehme ich mit ins Gespräch?), ein ressourcen-voller Blick auf Menschen (was traue ich dem Gegenüber zu), die Haltung des Nicht-Wissens, das Arbeiten mit kleinen Schritten.
Diese vielen Gemeinsamkeiten sind nicht verwunderlich, schließlich haben lösungsfokussiertes Coaching und zeitgemäße Ansätze der Trauerbegleitung gemeinsame Vorfahren wie Carl Rogers Personzentrierung mit den Grundhaltungen eines ressourcenvollen Blicks, Empathie und Authentizität; Marshal B. Rosenberg für eine achtsame (gewaltfreie) Kommunikation, oder die Annahme Virginia Satirs, dass Menschen alle Ressourcen haben, die sie zur Bewältigung einer Situation benötigen.
Und das wirkt sich auf die Qualität einer Beratung aus – im Coaching wie in einer Trauerbegleitung.
Egal, wem ich gegenübersitze: Die Verbindung entsteht und trägt, wenn ich den Raum dafür da ist. Ihn zu schaffen, ist meine Aufgabe. Dabei helfen meine aufrichtige Präsenz, meine Akzeptanz dessen, was da ist, und Empathie.
Meine aufrichtige Präsenz ist Grundlage für meine Echtheit im Gespräch: Wie sehr bin ich „da“? Wie sehr bin ich mir meiner Agenda, meinen Themen, meinem Zeitdruck etc. bewusst – um sie im Griff zu haben und gut zu nutzen? Wie sehr bin ich als Mitmensch da und nicht nur als „Profession“?
Bedingungsfreie Akzeptanz bedeutet für mich die höchste Form der Wertschätzung: Wenn es mir gelingt, kann ich die andere Person in ihrem Anliegen sehen, nicht mein Bild von ihr oder ihrem Problem. Gleichzeitig traue ich der Person zu, dass sie eine Lösung für ihr Anliegen finden wird.
Mir persönlich gelingt sie am besten aus einer Haltung des Nichtwissens – also möglichst ohne Annahmen und Bildern im Kopf. Dazu unten mehr.
Empathie (auch: einfühlendes Verstehen) heißt für mich, mich einzufühlen und damit die andere Person dazu zu ermutigen, ebenfalls in sich selbst hineinzufühlen. Das kann der erste Schritt zu einem Verstehen des eigenen Verhaltens sein, und dann zu Akzeptanz oder Veränderung.
Nichtwissen als höchste Form des Respekts
Nur weil ich selbst schon getrauert habe, bedeutet das nicht, dass ich weiß, wie es jemanden geht!
Diese lösungsfokussierte Grundhaltung ist für mich unverhandelbar, da Grundlage für eine respektvolle Haltung gegenüber Trauernden. Nicht nur dort und in der Vulnerabilität nach einem Verlust besonders. Die Unvoreingenommenheit, die aus einer Haltung des Nichtwissens stammt, ermöglicht mir den Kontakt mit meinem Gegenüber auf Augenhöhe.
Wer einmal ein aufgezeichnetes Gespräch von einer der SF-Granden gesehen oder ein Transkript gelesen hat, wird sich an die Akzeptanz erinnern, die daraus entsteht. Und sich vielleicht gewundert haben, wie anders das Gespräch verlaufen ist, im, Vergleich zu ihrem eigenen Kopfkino.
Für die Trauerbegleitung passt die Haltung des Nichtwissens gerade so gut, da jeder Weg in der Trauer anders ist, so wie jeder Mensch anders ist und jede Beziehung zwischen zwei Menschen keiner anderen gleicht.
Zusammen mit dem Respekt, dass die eigene Geschichte auch durch die eigene Interpretation entsteht (siehe den Artikel über Sinnfinden), ermöglicht die Haltung des Nichtwissens Autonomie und Würde im Erleben und Verarbeiten des Anderen.
Du oder Sie sind an eine Trauerbegleitung geraten, die genau weiß, wie es Ihnen geht? Wenn es Dir oder Ihnen hilft – o. k. Wenn nicht: Suchen Sie jemand anderes.
Und das gilt auch Tipps vermeintliches Wissen von Menschen aus Ihrem Umfeld!
Übrigens gibt es durchaus Punkte aus meiner eigenen Trauergeschichte, die mir in der Trauerbegleitung helfen:
- Zum Beispiel, dass in manchen Situationen ein einfaches Da-Sein und Mit-Aushalten mehr hilft als alles Tun der Welt.
- Dass es keine Haltungsnoten in der Trauer gibt. Dass es schwer und dreckig sein darf.
- Dass Menschen trauern können. Dass sie überleben wollen.
- Und dass viele Menschen unglaublich viel mehr schaffen, als sie selbst für möglich gehalten hätten.
Repariere nichts, das nicht kaputt ist
Eine weitere Grundhaltung aus der Lösungsfokussierung sollte Teil jeder Ausbildung für Personen werden, die Menschen in krisenhaften oder zugespitzten Situationen begleiten (neben der Haltung des Nichtwissens):
Details und kleine Schritte
Über die Macht von Details und die Arbeit in kleinen Schritten habe ich einiges im Artikel über ressourcenorientiertes Arbeiten in Beratungsgesprächen geschrieben.
Das wichtigste hier: Beides sind für mich absolute Zuversichts-Spender. Yvonne Dolan, eine der Großen im Lösungsfokus zitiert Steve de Shazer sogar mit dem Satz: Hope lies in the details.
Wieso wirken Details so? Details machen eine Erzählung vorstellbar, das gilt im Märchen wie in einer Zielbeschreibung oder der Schilderung einer Ausnahme. Und damit kann in eine als statisch empfundene Situation plötzlich wieder Bewegung kommen.
Die kleinen Schritte haben eine ähnliche Wirkung: Sie zeigen, dass Veränderung möglich ist. Gerade in der akuten Trauer erlebe ich, wie wertvoll das ist: der erste Schritt, der zeigt, dass ein Leben „Danach“ werden kann.
Repariere nichts, das nicht kaputt ist!
Selbst wenn etwas aus meiner Sicht „nicht richtig“ ist: Solange es mein Gegenüber nicht stört, bleibt es. Denn das Letzte, was ich in einer zugespitzten Situation will, ist noch mehr Baustellen aufzumachen.
Positiv formuliert bedeutet das: Arbeite nur an dem, was den_die Trauernde stört. Alles andere ist noch nicht dran. In der Überforderung von akuter Trauer gilt das ziemlich lange.
Für begleitende Personen heißt das auch, auf die eigene Motivation hinter einer Frage zu achten. Neugier ist etwas anderes als Anteilnahme.
Wunderfrage
Viele Menschen verbinden mit der lösungsfokussierten Haltung die Wunderfrage. Sie ist sicher eine der bekanntesten Elemente der Schule von Milwaukee.
Für mich als Trauerbegleiterin ist sie nicht das Erste, was es ich in Trauergesprächen und Trauer-Coachings nutze. Und doch lehrt mich die Wunderfrage etwas sehr Wichtiges: vorbehaltlos nach dem Zustand zu fragen, der aushaltbar sein könnte – und die Zuversicht zu haben, dass das vorstellbar ist.
Denn das ist für mich persönlich das Wunder an der Wunderfrage: die Zuversicht, dass ein gelöster Zustand denkbar ist.
In Trauergesprächen nutze ich nicht die Wunderfrage selbst, da sie mir gerade in der akuten Begleitung zu groß ist.
Ich nutze eher eine abgeschwächte Form: Wenn Du morgen aufwachst und es ist ein klein wenig erträglicher, woran bemerkst Du das?
Nach dem Explorieren ist die anschließende Frage: Und wann gibt es am Tag ganz kurze Momente, in denen es schon ein bisschen so ist?
Das funktioniert auch beim „großen“ Thema, dem Aushalten der Trauer und Überleben in der Trauer. Ebenso gute Dienste leisten beide Fragen bei kleineren Themen, die oft um sogenannte Sekundärverluste kreisen.
Und die Unterschiede?
Ein Unterschied zwischen Trauerbegleitung und Lösungsfokus ist das explizit geäußerte Ziel. Im lösungsfokussierten Coaching ist das Ziel ein wichtiger Schritt in Richtung der Lösung. In der Trauerbegleitung gibt es das meistens nicht.
Trauerbegleitung ist mehr Aushalten und Dinge geschehen lassen – also das, was im Coaching oft vor dem Sprechen über Ziele passiert. Das, was vorher gesehen werden will, Empathie und Wertschätzung braucht.
Und es gibt in der Trauerbegleitung implizite Ziel: In der akuten Phase Stabilisierung, so lange, bis es aushaltbarer ist. Später oft Orientierung, Bearbeiten eines bestimmten Gedankens, oder die Arbeit an Ressourcen.
Warum ich das nicht als Ziel ausformulieren lasse? Weil genau das in der akuten Trauer oft noch nicht vorstellbar ist: Wie das Danach aussehen kann. Dieses Wissen zu erlangen, und diese Anpassung zu vollziehen, ist genau der Grund, weswegen wir trauern.